PD Dr. med. Ladina Vonzun, Leitende Ärztin der Klinik für Geburtshilfe am Universitätsspital Zürich und Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF/BAG), erklärt im Interview, wie man Neugeborene gegen das Respiratorische Synzytial Virus (RSV), die gerade bei den Kleinsten eine sehr gefährliche Atemwegserkrankung verursachen können, schützen kann.

PD Dr. med. Ladina Vonzun
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Leitende Ärztin der Klinik für Geburtshilfe am Universitätsspital Zürich und Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF/BAG)
Warum ist der Schutz gegen RSV wichtig – und was für Möglichkeiten gibt es?
RSV-Infektionen sind im Winterhalbjahr die häufigste Ursache dafür, dass Neugeborene und Säuglinge ins Spital eingewiesen werden. Das spricht für sich! Eine Infektion mit RSV zeigt sich mit trockenem Husten, Fieber und Schnupfen. Was bei grösseren Kindern und Erwachsenen in der Regel nichts Dramatisches ist, kann bei den Kleinsten, wegen ihrer noch sehr feinen und engen Atemwege, zu einer Bronchiolits mit lebensbedrohlicher Atemnot führen.
Welche Möglichkeiten gibt es, Neugeborene vor RSV zu schützen?
Es gibt nun zwei Möglichkeiten, das Neugeborene vor einer RSV-Infektion zu schützen. Beide Optionen sind sicher und vergleichbar wirksam. Daher gibt es keine Präferenz in den offiziellen Empfehlungen. Die Optionen sollen auf jeden Fall mit den betreuenden Ärzt:innen besprochen werden.
EMPFEHLUNGEN: RSV-SCHUTZ FÜR NEUGEBORENE – 2 MÖGLICHKEITEN
IMPFUNG DER SCHWANGEREN:
- Wie? Der Schutzmechanismus für das Neugeborene erfolgt über den Nestschutz.
- Wer? Schwangere Frauen.
- Wann? Zwischen der 32+0 und der 36+0 Schwangerschaftswoche, falls der errechnete Geburtstermin zwischen Oktober und März liegt.
IMMUNISIERUNG DES NEUGEBORENEN:
- Wie? Dies ist keine Impfung, sondern die Gabe von Schutzantikörpern (IgG), die das Neugeborene direkt schützen.
- Wer? Alle Neugeborenen, bei denen die Mutter während der Schwangerschaft nicht geimpft wurde.
- Wann? Möglichst rasch nach der Geburt für alle «Winterkinder », die zwischen Oktober und März auf die Welt kommen. Für alle «Sommerkinder», die ihre erste Wintersaison erleben, ist eine Immunisierung ab Oktober empfohlen.
Warum sollten Schwangere sowohl auf ihren eigenen Impfschutz achten als auch den ihres Kindes schon mitdenken?
Weil die Natur so etwas Geniales wie den Nestschutz vorsieht: Werdende Mütter geben ihren im Bauch heranwachsenden Kindern unter anderem ihr Gedächtnis der Immunreaktion mit. Damit sind Neugeborene, deren Immunsystem anfangs noch unerfahren ist, mit einem zeitlichen Vorsprung zumindest vor den Erregern der Krankheiten geschützt, die die Mutter bereits durchgemacht hat oder gegen die sie geimpft wurde. Dieser Nestschutz wirkt in den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt, während das Kind sein eigenes Immunsystem trainiert. Im Laufe des Lebens lernt das Immunsystem mit jedem Infekt und mit jeder Impfung dazu und kann dadurch auch selbst schneller reagieren.
Wie genau gibt die Mutter ihr Immungedächtnis an ihr Kind weiter?
Jede Infektion, die der mütterliche Körper erlebt, schreibt sich in das Gedächtnis ihres Immunsystems ein – in Form von Antikörpern (IgG: Immunglobulin G). Über die Plazenta ist das Kind im Mutterleib mit dem Blutkreislauf der Mutter verbunden. Das Blut bringt Nährstoffe, Sauerstoff und auch Antikörper von der Mutter zum Kind. Daher brauchen wir Impfungen als «Boost» des mütterlichen Immunsystems. Durch die Impfung wird die Produktion von IgG angekurbelt, ohne die Krankheit zuverursachen. In der Regel gilt, je mehr Antikörper die Mutter hat, desto mehr kommen beim Kind an und desto besser der Schutz des Neugeborenen.
Welche Impfungen sind in der Schwangerschaft besonders wichtig und warum?
Für Impfungen während der Schwangerschaft gibt es zwei Überlegungen: Einerseits soll der Nestschutz optimiert werden. Dieser Mechanismus der indirekten Immunisierung der Neugeborenen wird bei der RSV-, aber auch bei der Keuchhustenimpfung zum Vorteil ausgenutzt. Andererseits soll die Schwangere selbst vor schweren Infektionen geschützt werden, daher wird die Grippe- und Covidimpfung vor oder während der Wintersaison den Schwangeren empfohlen.
Bezahlt die Krankenkasse die RSV Immunisierung?
Ja, beide Optionen, die mütterliche Impfung wie auch die Immunisierung der Neugeborenen mit Antikörpern, wird von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) übernommen. Hier gilt allerdings zu beachten, dass die mütterliche RSV Impfung noch bis Ende des Jahres 2025 der individuellen Franchise unterstellt ist. Ab 2026 werden neu alle Impfungen, die gemäss schweizerischem Impfplan empfohlen werden, franchisefrei von der OKP übernommen. Es gibt Impfungen, die während der Schwangerschaft explizit nicht empfohlen sind. Hierzu gehört die Röteln- und Varizellenimpfung. Beide Krankheiten können im Falle eines Infekts während der Schwangerschaft jedoch zu schweren Erkrankungen des Ungeborenen führen. Deshalb ist es für alle wichtig, bereits vor einer Schwangerschaft sicherzustellen, dass der Impfstatus vollständig ist. Lassen sie Ihr Impfbüchlein gleich kontrollieren!